Der 8. Mai 1945 bedeutete für lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle und queere Menschen die Befreiung von faschistischer Verhetzung, Unterdrückung und Terror. Ihre Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung ging jedoch nach 1945 weiter. Der 8. Mai mahnt uns: Um Freiheit, Gleichwertigkeit und Respekt muss täglich neu gerungen werden.
Aus dem Memorandum von acht homosexuellen Überlebenden, welches 50 Jahre nach dem Ende der NS-Schreckensherrschaft am 28. Mai 1995 veröffentlicht wurde:
“Vor 50 Jahren wurden wir von den alliierten Truppen aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Gefängnissen befreit. Aber die Welt, auf die wir gehofft hatten, wurde nicht wahr. Wir mussten uns wiederum verstecken und wurden erneuter Verfolgung ausgesetzt. Der seit 1935 bestehende anti-homosexuelle Nazi-Paragraph 175 blieb bis 1969 gültig, Razzien waren keine Seltenheit. Einige von uns – gerade aus den Lagern befreit – wurden erneut zu langen Gefängnisstrafen verurteilt.
Obwohl einige Überlebende trotz alledem versuchten, bis hin zum Bundesgerichtshof unsere Anerkennung als Verfolgte des Nazi-Regimes zu erstreiten, wurden wir als solche nie anerkannt und wurden deshalb von finanziellen Entschädigungen für ehemalige Verfolgte des Nazi-Regimes ausgeschlossen. Und nicht einmal die moralische Unterstützung und Solidarität der Öffentlichkeit existierte für uns.
Kein SS-Mann hat sich jemals vor Gericht für die Ermordung eines homosexuellen Mannes verantworten müssen. Aber frühere SS-Angehörige bekommen heute ihre „Arbeit“ auf die Rente angerechnet, während uns die Jahre in den Lagern nicht anerkannt und daher von der Rente abgezogen werden.
Heute sind wir zu alt und zu müde, um für die Anerkennung des an uns begangenen Unrechts zu kämpfen. Viele von uns wagten es nie, darüber zu sprechen. Viele von uns starben allein mit den qualvollen Erinnerungen. Wir haben lange, aber vergeblich auf eine deutliche politische und finanzielle Geste der deutschen Regierung und deutscher Gerichte gewartet.
Unsere Verfolgung wird heute an Schulen und Universitäten kaum erwähnt. Selbst in Holocaust Museen und Gedenkstätten werden wir als verfolgte Gruppe manchmal nicht einmal genannt.
Heute, 50 Jahre später, wenden wir uns an die junge Generation und an alle, die sich nicht von Hass und Vorurteilen leiten lassen wollen. Helfen Sie mit, sich mit uns zusammen gegen eine noch immer von Vorurteilen geprägte und unvollständige Erinnerung der nationalsozialistischen Verfolgung von Homosexuellen zu wehren. Lassen Sie uns das an Juden, Roma und Sinti, Zeugen Jehovas, Freimaurern, Behinderten, polnischen wie russischen Kriegsgefangenen, Homosexuellen und vielen anderen begangene Unrecht nie vergessen. Lassen Sie uns aus der Geschichte lernen und die jüngere Generation von homosexuellen Frauen und Männern, Mädchen und Jungen dabei unterstützen, ihr Leben im Gegensatz zu uns in Würde und Respekt zusammen mit ihren Partnern, Freunden und Familien führen zu können. Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft.”
Zitiert nach Klaus Müller: “Totgeschlagen, totgeschwiegen? Das autobiographische Zeugnis homosexueller Überlebender”. In Jellonek/Lautmann (Hrsg.): “Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle”, Paderborn 2002, S. 416.