Kunst am Bau im Sportbetriebsgebäude in der Ebereschenstraße 15 in München
Einleitung
Bereits seit 2013 arbeitet der Künstler Philipp Gufler an seiner Quilt-Serie, zu der auch die sechs im Sportbetriebsgebäude in der Ebereschenstraße 15 in München gezeigten Quilts gehören – zu den ersten 30 Werken dieser Serie ist 2020 ein Künstlerbuch erschienen. Der Kerngedanke dieser Werkserie ist die Sichtbarmachung queerer Geschichte, das heißt, der Geschichte sowohl von Lesben, Schwulen, Bi- und Asexuellen als auch von nicht-binären sowie trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Dabei ist jeder Quilt einer bestimmten Person, einem Ort oder einem entscheidenden Moment queerer Geschichte gewidmet. Durch die Kombination von Bildern und Texten, die der Künstler mittels eines Siebdruckverfahrens auf transparente Stoffe druckt, macht er das sichtbar, was in Geschichtsbüchern unerwähnt bleibt: Erfahrungen und Schicksale jenseits dessen, was lange Zeit als „Norm“ erachtet wurde bzw. zum Teil immer noch wird.
Zugleich verdeutlicht die Transparenz der Stoffe aber auch die Flüchtigkeit von Erinnerungen und unterstreicht die Wichtigkeit inklusiver Geschichtsschreibung. Von besonderer Bedeutung für die Serie ist hierbei vor allem das gewählte Medium: Der Quilt ist ursprünglich ein aus verschiedenen Stoffstücken zusammengesetztes Textil, das insbesondere im nordamerikanischen Kontext als ein Objekt gilt, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Ebendiesen dem Quilt zugrundeliegenden Gedanken einer Fortführung und Weitergabe von Geschichte verfolgt auch Gufler mit seinen Arbeiten.
Darüber hinaus knüpft das Quilt-Format auch an die US-amerikanische Names Project Foundation an, die 1987 damit begonnen hat, einen Quilt für die unzähligen und lange Zeit unbeachteten Opfer der AIDS-Epidemie anzufertigen. Auch Gufler möchte mit seinen Quilt-Werken an die oftmals Vergessenen erinnern und ihnen ihren rechtmäßigen Platz in der Geschichte einräumen. Dieses Anliegen betont der Künstler auch durch den gewählten Maßstab seiner Stoffarbeiten, messen diese doch 180 x 90 cm und verweisen damit auf den menschlichen Körper. Das Zusammenspiel aus dem Maßstab und der transparenten Stofflichkeit erzeugt schließlich Bildwerke, die als ein zur Kunst gewordenes Geschichtsarchiv verstanden werden können, welches auf die prekäre Situation queerer Menschen und ihrer historischen Vergangenheit hinweist.
Einleitung von Nicholas Maniu
Texte zu den Quilts von Philipp Gufler
- Quilt #39 (Alexander Sacharoff)
- Quilt #40 (Karl Heinrich Ulrichs)
- Quilt #41 (Frauenwiderstandscamp im Hunsrück)
- Quilt #42 (Guido Vael)
- Quilt #44 (Hof-Atelier Elvira)
- Quilt #45 (Justin Fashanu)


Quilt #39 (Alexander Sacharoff), 2021
Eine queere Ikone der Schwabinger Boheme steht im Zentrum von Guflers dreischichtigem Quilt aus roter Gaze: Der aus Mariupol (heute Ukraine) stammende und zumeist in „weiblich“ konnotierter Kleidung auftretende Tänzer, Choreograf und Künstler Alexander Sacharoff (1886–1963). Sacharoff, der 1905 für seine Tanzausbildung nach München kam, gründete dort 1909 zusammen mit u. a. Marianna von Werefkin (1860–1938) und Alexej von Jawlensky (1865–1941) die Neue Künstlervereinigung München, welche die Entwicklung einer neuen Kunst zum Ziel hatte, in der Malerei, Musik, Tanz, Theater und der menschliche Körper zu einer Einheit verschmelzen sollten.
Diesen synästhetischen Ansatz verkörperte Sacharoff in besonderer Weise, vereinte er in seinen tänzerischen Darbietungen doch nicht nur die verschiedenen Kunstgattungen, sondern verschmolz durch sein androgynes und transvestitisches Auftreten auch gesellschaftliche Vorstellungen von Mann und Frau – im gegenwärtigen Sprachgebrauch würde man Sacharoff wohl als nicht-binär bezeichnen. Hieraus erklärt sich auch die große Faszination Jawlenskys und Werefkins für den Tänzer, die diesen in zahlreichen Gemälden und Skizzen portraitierten – eines der bekanntesten Porträts, das sich auch auf der mittleren Stoffbahn des Quilts wiederfindet, stammt von Jawlensky und zeigt Sacharoff in einem roten hochgeschlossenen Kleid mit einer Ansteckblume (das Gemälde befindet sich heute im Lenbachhaus, München).
Mit seinem Auftreten erregte Sacharoff im konservativ geprägten München großes Aufsehen, so heißt es etwa in einem zeitgenössischen Dokument, aus welchem Gufler zitiert: „Eine auffällige Erscheinung, die in einem nach Frauenart auswärts gekehrten Pelz durch die Straßen Schwabings tänzelte.“ Diesem freimütigen Wesen des Tänzers, der ab 1919 mit seiner Tanzpartnerin Clotilde von Derp (1892–1974) eine offene Ehe führte – sexuell fühlte er sich zu Männern hingezogen – trägt Gufler Rechnung, indem er die auf der vordersten Stoffbahn angebrachten Zitate von Zeitgenoss*innen mit künstlerischen (Selbst-)Inszenierungen Sacharoffs auf den hinteren beiden Stoffbahnen kontrastiert.
Text von Nicholas Maniu


Quilt #40 (Karl Heinrich Ulrichs), 2021
Karl Heinrich Ulrichs (1825–1895) war ein Pionier der Homosexuellenbewegung. Der aus Ostfriesland stammende Jurist trat für die Rechte von gleichgeschlechtlich begehrenden Männern ein. Nachdem gegen ihn wegen „widernatürlicher Handlungen“ ermittelt wurde, erließ das Gericht ein Berufsverbot. Ulrichs war seither von Inhaftierung bedroht und vorwiegend als Journalist tätig. Die gegen ihn gerichteten Maßnahmen veranlassten Ulrichs, sich nun verstärkt aktiv gegen die Unterdrückung einzusetzen.
Grundlegend war Ulrichs’ Gedanke einer Selbstverortung gleichgeschlechtlich begehrender Menschen. Deren sexuelle Handlungen waren von Kirche und Gesellschaft verpönt und sollten als „stumme Sünde“ nicht benannt werden. Sie wurden in Gesetzestexten mit „Sodomie“ gleichgesetzt. Ulrichs entwickelte als Erster eine positive Eigenbezeichnung: den „Uranismus“, in Anlehnung an die nichtgeschlechtliche Zeugung des Uranos nach der griechischen Antike.
Daraus entwickelte Ulrichs im Lauf der Jahre ein System von Zwischenstufen zwischen „Urning“ bzw. „Urninde“ und dem „Dioning“, womit heute ein heterosexueller Mensch bezeichnet wird. Wenige Jahre später beschäftigte sich auch der österreichische Wissenschaftler Karl Maria Kertbeny mit der „mannmännlichen Liebe“, jedoch eher aus medizinischer Sicht, und gab ihr den Namen „Homosexualität“, ohne sich weiter mit dem Phänomen auseinanderzusetzen.
Karl Heinrich Ulrichs dagegen hielt seine Erkenntnisse in zwölf Schriften fest, die zwischen 1864 und 1879 erschienen, zunächst unter dem Pseudonym Numa Numantius. Dies kann als erster wissenschaftlicher Vorstoß auf dem Gebiet nicht-heterosexueller Lebensweisen gewertet werden. Er nahm sich vor, auf dem Deutschen Juristentag, der am 29. August 1867 in München stattfand, Straffreiheit bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen Männern zu erwirken. Sein Versuch scheiterte an der rigoros ablehnenden Haltung des Tagungsvorsitzenden. Ulrichs veröffentlichte von da an unter seinem wahren Namen.
Er baute ein europaweites Netzwerk von Verbindungen und Bekanntschaften zu anderen homosexuellen Männern auf und sah sich ihnen gegenüber in der Pflicht. Auf dem Quilt wird sein Ausspruch zitiert: „Das Bewußtsein, daß in diesem Augenblick aus weiten Fernen meine Naturgenossen auf mich blickten. Ihr Vertrauen auf mich, sollte ich’s denn erwidern mit Feigheit?“Als nach der Gründung des 2. Deutschen Reichs 1871 die Homosexuellenverfolgung stark zunahm, resignierte Ulrichs und emigrierte 1880 nach Italien. In L’Aquila fand er Unterstützung und blieb dort als Privatgelehrter bis zu seinem Tod. Ulrichs’ Grab befindet sich auf dem dortigen Stadtfriedhof.
In München wird Ulrichs’ Name seit 1998 mit einem Platz im Glockenbachviertel geehrt. Sein Wirken bleibt lebendig. So hat sich auch der spanische Philosoph und Queertheoretiker Paul B. Preciado mit Ulrichs und seiner Theorie beschäftigt.
Text von Albert Knoll


Quilt #41 (Frauenwiderstandscamp Hunsrück), 2021
An eine denkwürdige und durchaus riskante politische Protestaktion der Lesben- und Frauenrechtsbewegung erinnert Gufler mit seinem Quilt zum Frauenwiderstandscamp1 im Hunsrück: Als Reaktion auf den NATO-Doppelbeschluss von 1979, der die Stationierung von 96 Cruise-Missiles im Hunsrück vorsah, fand von 1983 bis 1993 das Frauenwiderstandscamp auf einem privaten Wiesengrundstück in Reckershausen statt.
Die bis zu 2000 Campteilnehmerinnen richteten sich mit ihrem Protest dabei nicht nur gegen das Militär und die Rüstungsindustrie, sondern stellten einen ursächlichen Zusammenhang mit patriarchalen Strukturen her: Krieg sei unmittelbarer Ausdruck von Männergewalt und der bis heute vorzufindenden gewaltvollen Unterdrückung des Weiblichen – diesem Grundsatz folgend, waren keine Männer auf dem Gelände des Camps zugelassen. Auf einem Plakat des Widerstandscamps wird dieser Gedanke nochmals in aller Deutlichkeit formuliert: „Was Man(n) Frieden nennt, ist täglicher Krieg für die Frauen.“
Gegen ebenjene Formen von Gewalt protestierten die Aktivistinnen, indem sie u. a. militärische Baustellen blockierten und belagerten, wie dies etwa auf der mittleren Stoffbahn von Guflers Quilt zu sehen ist. Den Mut der beteiligten Frauen parallelisiert Gufler durch zwei weitere Bilder, die er jeweils auf eine kleinere Stoffbahn aufgedruckt hat: Zum einen die Darstellung einer Amazone der Malerin Ebba Sakel auf der Vorderseite des Quilts und zum anderen eine Fotocollage auf der Rückseite, welche die von Stacheldraht überlagerte Silhouette einer Frau zeigt, die ihre Hände zum Lesbenzeichen (eine Vulva) formt. Dieses Motiv wurde von den Organisatorinnen des Camps für ein Plakat genutzt und findet sich ebenso wie das zuvor erwähnte Poster in Guflers Künstlerbuch I Wanna Give You Devotion (2017).
Auch in Fernsehen, Rundfunk und den Printmedien wurde zumindest anfangs rege über das Camp berichtet. Trotz strafrechtlicher Konsequenzen für einige Teilnehmerinnen fand das Frauenwiderstandscamp bis 1993 jährlich statt. Obwohl die Stationierung der Cruise-Missiles letzten Endes nicht verhindert werden konnte, stellt das Camp einen historisch bedeutungsvollen Moment deutscher (Frauen-)Geschichte dar.
1) Ausdrücklich erwünscht waren nur „biologische Frauen“. Ob auch Trans*Frauen an den Protesten beteiligt waren, ist noch nicht gänzlich geklärt, erscheint aber hinsichtlich der biologistischen Argumentation der früheren Frauen- und Lesbenbewegung unwahrscheinlich.
Text von Nicholas Maniu


Quilt #42 (Guido Vael), 2021
Guido Vael (1947–2020) ist aus der deutschen und besonders der Münchner Schwulenbewegung nicht wegzudenken. Der gebürtige Belgier zog 1977 in die bayrische Landeshauptstadt und wurde früh politisch aktiv– zunächst im VSG (Verein für sexuelle Gleichberechtigung), einem der ersten deutschen Vereine für die Gleichstellung homosexueller Männer, der auch die Zeitschrift „Kellerjournal“ publizierte. Dort fand Vael nach seinem Coming-out Rückhalt, noch ohne zu wissen, dass er seine neue Heimat für immer verändern würde. Der auf dem Quilt links oben abgebildete Brief aus der Zeit beschreibt seine gemischten Gefühle.
Schon 1980 organisierte er den ersten Münchner CSD (Christopher Street Day) mit – damals noch eine politische Demonstration, die eher misstrauisch beäugt wurde und bei Weitem nicht das Spektakel mit Parade, Showbühne und Partys war, das es heute ist. Ganz vorne lief Vael mit, noch etwas naiv, wie er später sagen würde, ohne sich unkenntlich zu machen (ein Foto wurde prompt Titelbild der Abendzeitung). Heute feiern viele offen und ausgelassen, vor 40 Jahren aber war so sichtbar schwul zu sein nicht nur eine Seltenheit, sondern auch eine Gefahr.
1984 war Vael dann Mitbegründer der Münchner Aids-Hilfe – also zu einer Zeit, als so manch prominenter Politiker in Bayern HIV-Positive und an AIDS erkrankte Mitmenschen noch in Heimen „konzentrieren“ wollte oder Schwule gar als „auszudünnende Randgruppe“1 sah. Der vom damaligen Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium des Inneren Peter Gauweiler verabschiedete Maßnahmenkatalog war berüchtigt; Vael und seine Mitstreiter*innen kämpften unermüdlich dagegen und lebten täglich mit der Polizeigewalt (geschildert im Interview, das Gufler 2013 mit Vael führte und das auf eine der fünf Stoffbahnen des Quilts gesiebdruckt ist). Guido Vaels aktivistische Arbeit legte so auch den Grundstein vieler anderer rechtlichen Fortschritte, die die queere Bewegung bis heute erreicht hat.
Von 1990 bis 1999 war er dann Mitglied im Vorstand des Dachverbands Deutsche Aidshilfe e.V. und prägte so auch bundesweit die Aufklärungs- und Präventionsarbeit zu HIV/AIDS. Im Münchner Sub, dem schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum, leitete er ganze 17 Jahre das Projekt Prävention. Dort gründete er auch die „Sittenstrolche“, die mit humorvollen Theaterstücken vielen das Thema spielerisch und ganz ohne erhobenen Zeigefinger näherbrachten.
Auch bei der Wähler*inneninitative Rosa Liste, die bis heute die Stadtpolitik prägt, wirkte er als Mitbegründer – ging es um die Rechte von schwulen Männern, war Vael immer dabei, so scheint es fast. Die Stadt zeichnete ihn 2009 dafür mit einer einer Ehrenmedaille aus: „München leuchtet“ in Silber, überreicht vom damaligen Oberbürgermeister Christian Ude. Doch die Medaille nahm er nur ungern entgegen, er betrachte seinen Einsatz nie als etwas Besonderes, sondern als seine selbstverständliche Pflicht.
Am 13. Januar 2020 verstarb Vael nach langer Krankheit im viel zu jungen Alter von 72 Jahren. Er wird vermisst; nicht nur von seinem langjährigen Lebenspartner Willi Giess. Auf dem Münchner Westfriedhof zollt noch so mancher seinen Tribut, der von ihm etwas über schwules Selbstbewusstsein gelernt hat.
1) Hans Zehetmair, damaliger bayerischer Kultusminister, 1987 in einer Talkshow.
Text von Sabrina Mittermeier


Quilt #44 (Hof-Atelier Elvira), 2021
Diese Fassade sticht ins Auge. Das riesige Ornament, das auf der vorderen Stoffschicht des Quilts gesiebdruckt ist, mag auf den ersten Blick einen wilden Drachen oder eine Szene mit Meereswellen und Wolken darstellen, auf den zweiten jedoch lässt sich kein eindeutiges Motiv festmachen, und so bleibt in dem reinen Ornament viel Spielraum für die eigene Phantasie. Der Architekt August Endell schuf das Jugendstil-Gebäude im Jahr 1898 für den Neubau eines Fotostudios: Das „Hof-Atelier Elvira“, begründet von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker, war 20 Jahre lang ein Hotspot der damaligen Münchner High Society, wo sich Schriftstellerinnen, Adlige, Angehörige des bayerischen Königshauses, Offiziere, Schauspieler, Beamte und viele andere Personen des öffentlichen Lebens porträtieren ließen. Einige der Fotografien aus dem „Hof-Atelier Elvira“ sehen wir auf der hinteren Schicht des Quilts in einer Collage von Philipp Gufler.
Die Unternehmerinnen und Lebensgefährtinnen Anita Augspurg (1857–1943) und Sophia Goudstikker (1865–1924) gehörten zu den ersten Frauen in Deutschland, die eine fotografische Ausbildung absolvierten und sich mit diesem Beruf erfolgreich selbstständig machten. Bereits 1887 hatten sie ihr Studio in der Von-der-Tann-Straße 15, Ecke Königin-Straße, schräg gegenüber vom Prinz-Carl-Palais, eröffnet. Doch nicht nur mit ihren Kontakten zum Hochadel und allem, was in München Rang und Namen hatte, wurden sie über München hinaus bekannt. Beide waren darüber hinaus bedeutende Frauenrechtlerinnen, die sich für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen einsetzten und das Wahlrecht für Frauen einforderten (in Bayern dürfen Frauen erst seit 1918 wählen). Diese Forderungen und das fortschrittliche Auftreten der beiden, das sich etwa in Kurzhaarschnitten und einem modernen Kleidungsstil äußerte, sorgte im konservativen München für Aufsehen und Bewunderung, aber auch viel Spott.
Anita Augspurg verließ das „Hof-Atelier Elvira“ kurze Zeit nach der Fertigstellung des neuen Gebäudes und gehörte bald mit ihrer neuen Partnerin Lida Gustava Heymann zu den führenden Köpfen der internationalen Frauenrechtsbewegung. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, kehrten Augspurg und Heymann, die bereits 1923 die Ausweisung Adolf Hitlers aus Deutschland gefordert hatten, von einem Urlaub nicht nach München zurück und lebten fortan in der Schweiz. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt, die Zeugnisse ihrer jahrzehntelangen Arbeit vernichtet.
Sophia Goudstikker, die seit 1899 mit der Frauenrechtlerin Ika Freudenberg zusammenlebte, führte das „Hof-Atelier Elvira“ allein mit mehreren Angestellten weiter, bis sie es 1908 verpachtete, um sich ganz der Münchner Frauenrechtsarbeit zu widmen. Ohne eine juristische Ausbildung wurde sie Leiterin der von ihr gegründeten „Rechtsauskunftsstelle für Frauen“ des bis heute existierenden Münchner „Vereins für Fraueninteressen“ und später sogar Verteidigerin am Jugend- und Schöffengericht, wo sie viel bewirkte.
Bereits renovierungsbedürftig, verfiel das Haus zunehmend, bis es der nationalsozialistischen Stadtverwaltung ab 1933 ein Dorn im Auge war. Die Fassade, einst für ihre Modernität berühmt, wurde als nicht mehr zeitgemäß betrachtet und auf behördliche Anordnung hin abgeschlagen, das Gebäude zweckentfremdet. 1944 wurde es bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, 1951 verkaufte die Bayerische Staatsregierung das Anwesen an die US-amerikanische Regierung. Heute befindet sich auf dem Gelände das US-amerikanische Generalkonsulat; nichts erinnert mehr an die einstige Pracht des „Hof-Ateliers Elvira“ und ihre Gründerinnen.
Text von Linda Strehl


Quilt #45 (Justin Fashanu), 2021
In drei Ebenen erzählt uns Philipp Guflers Quilt vom vielschichtigen Leben des Justin Fashanu (1961–1998), Spieler der britischen Profifußballliga. Dessen herausragende Leistungen als junger Stürmer für Norwich City stellten eine glorreiche Karriere in Aussicht. Als der erste Schwarze erhielt er 1981 beim Wechsel zu Nottingham Forest eine Ablöse von über eine Million Pfund – in Zeiten, zu denen rassistische Anfeindungen nahezu selbstverständlich von den Rängen hallten. Doch Fashanu positionierte sich stets gegen Rassismus und wollte ein Vorbild für die schwarze Community sein.
Unter dem zusätzlichen Druck des wachsenden Interesses an seinem Privatleben und den damit in Verbindung stehenden Gerüchten, durch die er neben den rassistischen zunehmend auch homophoben Beschimpfungen sowie Spott über sein Bekenntnis zum Christentum durch sein Team und die Fans ausgesetzt war, erbrachte er jedoch nicht die erhoffte Leistung. Mit seinem öffentlichen Outing im Jahr 1990 in der britischen Zeitung „The Sun“, mit dem er allen Gerüchten die Stirn bieten wollte, wurde er zum ersten offen schwulen Profifußballspieler. Doch statt der ersehnten Befreiung wandten sich Presse, Fans und Familie zunehmend gegen ihn. Seine Karriere erholte sich hiervon nicht. Im Jahr 1998 beging Justin Fashanu Suizid. Die sensationswütigen Schlagzeilen der Presse rissen auch mit seinem Tod nicht ab. Philipp Gufler hat sie in sorgfältiger Archivrecherche auf der hintersten Ebene des Quilts zusammengetragen.
Bis heute bleibt Fashanu der einzige Spieler, der sich während seiner aktiven Profikarriere zu seiner Homosexualität bekannte. Einerseits machte ihn das zu einer Ikone für schwarze Lesben und Schwule in Großbritannien. Doch aus der schwarzen Community, für die er sich selbst als ein Vorreiter betrachtet hatte, erfuhr Justin Fashanu auch große Ablehnung. Ein frommer schwuler schwarzer Mann zu sein brachte ihm eine mehrfache Außenseiterposition ein. Auf diese Konfliktsituation spielt Philipp Gufler auf der ersten Stoffbahn seines Quilts an. Doch sie zeigt auch, dass Fashanus Fall Widerstand gegen den Hass in der Presse in Bewegung gesetzt hat und gibt Hoffnung auf Veränderung.
Im dahinterliegenden Element sehen wir Justin Fashanu nach seinem legendären Torschuss gegen Liverpool, Goal of the Season 1980, dem wohl stolzesten Moment seiner Karriere, in seinem Jubel in den Richtung Himmel deutend. Er ist umgeben von einzelnen Textstrophen aus Fangesängen, die der Künstler aus verschiedenen Quellen zusammengetragen hat. Ein paar davon bejubeln den Fußballer, doch einige von ihnen sind kritisch, gar rassistisch oder homophob. Einzelne davon schmerzen so sehr, dass der Künstler sie nicht einfach stehen lassen kann. Er kaschiert sie mit Stickereien, um den Hass nicht weiter zu reproduzieren.
Text von Christina Spachtholz
Foto Quilts: Franzi Müller Schmidt